Es ist mucksmäuschenstill im ganzen Saal, – alle Blicke sind nach vorne auf die Leinwand und die Rednerin gerichtet, denn was die Autorin Dorothee Haentjes-Holländer zu sagen hat, das fesselt die gesamte Aufmerksamkeit der 45 angehenden Abiturientinnen und Abiturienten. Es ist der Krieg und die Frage, wie radikal er das Leben verändert, die den jungen Menschen an diesem Vormittag Einiges abverlangt.
So geschehen am 06. September dieses Jahres am Jan-Joest-Gymnasium, als die Schrift-stellerin vor den Mitgliedern der Leistungskurse Deutsch und des Grundkurses Geschichte ihr Buch „Paul und der Krieg“ präsentiert. Es handelt sich um die Geschichte ihres Vaters Paul Haentjes, der mit 15 Jahren in den letzten Monaten des II. Weltkrieges – zunächst als Luftwaffenhelfer, dann als Soldat in den Krieg einzieht. Zeugnisse von jugendlich naiver Kriegsbegeisterung, von den dämonischen Einflüssen der nationalsozialistischen Propaganda, von Angst, Verwundung und von Sorge um die Lieben zuhause.
Die Autorin liest zunächst eine ganze Stunde lang aus ihrem Buch. Es kombiniert Dokumente, Fotos und Erinnerungsstücke aus dem Nachlass ihres Vaters und arrangiert all das erzählerisch zu einer Chronologie der letzten Kriegsmonate. Frau Haentjes-Holländer begleitet ihre Lesung mit einer eindrucksvollen Präsentation der Materialien. Da sieht man den Einberufungsbescheid, daneben ein Foto von Paul an der Flugabwehrkanone und das Uniformabzeichen, das verrät, wie knapp der Soldat damals einer tödlichen Verletzung entgangen ist. Geschichte wird an diesem Vormittag auf bemerkenswerte Weise so lebendig, dass eine Stunde wie im Flug vergeht.
Im Anschluss hat die Autorin Zeit für die Fragen der Schülerinnen und Schüler. Und die schonen sie nicht. Ernsthafte, manchmal auch sehr persönliche Fragen, politische Nachfragen nach der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Widerstand, nach Schuld – all das liegt schwer in der Luft. Was bedeutet es, das Leben des eigenen Vaters zu recherchieren und dann zu veröffentlichen? – Konnte man sich als Jugendlicher damals nicht dem Einfluss der NS-Propaganda entziehen? – Wie haben ihre Mutter und ihre Geschwister auf ihr Buch-Projekt reagiert? – Führte die ständige Lebensgefahr nicht auch zu ständiger Angst? – Kann man durch ein solches Projekt die Wirklichkeit des Krieges tatsächlich authentisch vermitteln? –
Dorothee Haentjes-Hollaender lässt alles zu, geduldig und offen greift sie alle Fragen auf und steht den Jugendlichen Rede und Antwort. „Ich habe mich lange nicht mehr so ernsthaft und so offen mit jungen Erwachsenen unterhalten. Wenn Ihnen unsere Vergangenheit so wichtig ist, dann ist mir um unsere Zukunft nicht bange“, sagt die Schriftstellerin am Ende der Veranstaltung an die Jugendlichen gerichtet. Und die bedanken sich für die lebendigen Einblicke in die deutsche Vergangenheit und in das literarische Schaffen einer Gegenwarts-autorin mit einem herzlichen Applaus.
Ulrich Hänel
Dorothee Haentjes-Holländer, Paul und der Krieg, erschienen bei arsEdition, München 2019
Copyright Fotos: N. Vanmeenen